Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 11.1927

DOI Heft:
Heft 55
DOI Artikel:
Buschbeck, Ernst H.: Albert Figdor
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55197#0014

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ERNST H. BUSCHBECK

bereit war, sich der Fülle der Erscheinung hinzugeben, so hatte auch Figdor an dem kost-
baren Strandgut verflossener Zeiten, das seine Tische und Borde, Kästen und Laden füllte,
eine auf das Individuelle gerichtete, das Einzelne unmittelbar und unreflektiv fassende
Freude. Es ist die fröhliche und unbelastete Einstellung zu der Wirklichkeitsfülle der
Vergangenheit, wie sie auch aus den Werken der älteren deutschen Kulturgeschichte,
etwa aus Albert Richters Schriften, zu uns spricht. Dem verdankt diese Sammlung ihren
eigentümlich polyhistorhaften Zug, für den jedes von Menschen gemachte Ding als ein
unmittelbares document humain von Wert und Interesse ist — bis zur Kuriosität herab,
wenn sie von Menschlichem zeugt, wie die Strumpfbänder mit eingestickten erotischen
Widmungen beweisen. Überhaupt hatte er Sinn für das andere Geschlecht, war Damen
gegenüber, die seine Sammlung besuchten, von einer entzückend chevaleresken, gerade-
wegs aus dem 18. Jahrhundert herkommenden Höflichkeit, zu der auch die Freude nicht
schlecht paßte, mit der er gerade ihnen die vielen pikanten und grivoisen Darstellungen
seiner Sammlung zeigte.
Sein Interesse für das Gegenständliche war überhaupt reger als das der Generation von
heute, die dieses Gegenständliche über der, als ein Selbständiges empfundenen, künst-
lerischen Form gerne vergißt; es machte ihm Spaß zu wissen, wozu die Dinge dienten:
das hat seiner Sammlung ganz schmucklose frühe norwegische Runenmaßstäbe, Zahn-
stocher und Kämme einverleibt. Diese Freude am Gegenständlichen war es auch, die
ihm die Objekte untereinander verknüpfte. Oft hat er einen Firstziegel gezeigt, auf
dem ein Männchen rittlings aufsitzt, das am Gürtel einen Dolch mit testikelförmiger
Parierstange trägt — und es war sein Stolz, daß er eines der sehr seltenen erhaltenen
Stücke dieser Dolchart danebenhängen konnte; er besaß ein Bild eines Geldwechsler-
kontors, auf dem ein höchst merkwürdiger mehrteiliger Beutel abgebildet war — und
er besaß das vielleicht einzige erhaltene Stück dieser Gattung von Börsen; und auch
das kostbarste, der übrigens nicht sehr zahlreichen Bilder, die er besessen hat, Hierony-
mus Boschs Verlorener Sohn, mag ihn mehr wegen des landstreicherhaften Genrebildes
als aus eigentlich ästhetischen Gründen gereizt haben. Auch meine letzte Erinnerung
an Albert Figdor (wenn es erlaubt ist, von Persönlichem zu sprechen) ist mit einer
gegenständlichen Frage verbunden: er zeigte einen doppelgesichtigen, ziemlich bäuerlich
geschnitzten Holzkopf, den er für einen Schlittenknauf hielt: »Aber warum der nur
zwei G’sichter hat?« -—- Ich konnte ihm sagen, daß es sich offenbar um die Darstellung
eines Saturnkindes handle, was sogleich sein brennendes Interesse weckte: »Des schreiben S’
nur glei ein ins Inventar« — überhaupt dieses Inventar, das der beste Beweis für den
Ernst seiner Sammlertätigkeit war! Ein großes, ganz komplettes Zettelinventar, in dem
das gesamte wissenschaftliche Material zu jedem einzelnen Objekt verzeichnet stand;
Generationen von Kunstgelehrten haben an diesem Inventar mitgearbeitet, denn jeder war
aufgefordert, was er etwa über den Gegenstand wußte oder dachte, unter Beifügung seines
Namens auf dem Kopfzettel einzutragen; ein Aufschlagen dieses Inventars vermittelte so
meistens einen genauen Überblick über den Stand einer wissenschaftlich kontroversen Frage.

4
 
Annotationen